Die Zirkusprinzessin: Die Friedrich-Spee-Gesamtschule führt das Stück im Paderborner Theater auf. Die Inszenierung fesselt das Publikum mit großartigen Bildern. Und das Beste kommt am Schluss.
Von Ann-Britta Dohle
Paderborn. Welche Magie den "Ansichtssache"-Schultheatertagen beiwohnen kann, das zeigte die Aufführung der Friedrich-Spee-Gesamtschule gestern im Theater Paderborn. 60 Schauspieler und Schauspielerinnen aus drei Darstellen- und Gestalten-Kursen (Klasse 7 und Klasse 10) standen für die "Zirkusprinzessin", einer selbstentwickelten Hommage an die Zirkuswelt, auf der Bühne.
Unter der Leitung von Michael Aßmann und Manuel Wibbeke ist ein konzentriert erzähltes Stück entstanden, das aus der Ruhe seinen Geburtsprozess erlebt. Die durchgängige Klavierbegleitung mit russischen Stücken - bravourös live gespielt - unterlegt die schwebende Handlung mit einfühlsamer Melancholie und mischt dem Geschehen Stummfilmcharakter bei. Konsequent durchgehalten sprechen auch nie die Akteure selber, sondern alleine den Erzählerinnen ist die Sprache vorbehalten - und den Sängern.
Ein Kassenhäuschen wird zum Martyrium und Gefängnis
Drei junge Spielerinnen führen gleich zu Beginn in die Geschichte des Zirkus ein, der seine Hoch-Zeit längst überschritten hat und dem während der ganzen Aufführung auch ein Hauch vergangenen Charmes anhaftet. Gekonnt profilieren sich die Zirkuskünstler. Hier machen sich die Muskelmänner warm, dort bricht aus dem Warm-up ein rasanter Breakdance heraus, wird zurückgeführt in die Stille. Mit Radschlägen, Bogengängen, Handständen ergänzen die jungen Artisten die Atmosphäre, lautlos werden sie zum Symbol einer vergessenen Welt.
Diszipliniert und konzentriert entwickelt sich die Zirkusatmosphäre auf der Bühne und im Publikum. Im Fokus steht die Zirkusprinzessin, deren spektakulärer Sturz 1951 (Filmeinspielung) für das Ende ihrer künstlerischen Laufbahn sorgte. Doch sie überlebt und ihr folgender Existenzkampf kann gleichsam als Überlebenskampf eines ganzen Branche verstanden werden.
Mit großartigen Bildern fesseln die Akteure ihr Publikum. Die Zirkusprinzessin - schwer verletzt - sucht nach neuen Aufgaben. Ein Kassenhäuschen wird zu ihrem ersten Martyrium. Ein Gefängnis. Dieses erleben auch die ausgestellten Exoten - halb Mensch, halb Tier -, die in der Manege hinter Gitterstäben vom Publikum begafft werden, die fauchen, wüten und im Zeitlupentempo von der Peitsche zurückgedrängt und verängstigt zurückweichen: Eine skurrile, bewegende Szene, ebenso wie die überdimensionierten Karten, die von einer Magierin mit verbundenen Augen erraten werden.
Eine gefühlvolle Ballade bringt es auf den Punkt
Der Zirkusprinzessin auf ihrer Identitätssuche zur Seite gestellt ist ihre Urenkelin, die auch als Erzählerin immer wieder authentisch eingreift, die "erinnerte Person" an die Hand nimmt, sie führt - und loslässt. Eindrucksvoll gerät die Szene, in der die Prinzessin sich an der Ballettstange quält, von der humpelnden strengen Lehrerin - ein Spiegel ihrer Selbst - mit dem Stock malträtiert wird, und abbricht. Bis sie ihre Berufung findet, als Malerin und Zeitzeugin einer der ältesten Künste: der Zirkuskunst.
Die der Inszenierung innewohnende Ruhe erhöhte die Konzentration aller Spieler und - so sprachreduziert und künstlerisch erhöht - lebt das Geschehen von der Ernsthaftigkeit und der Spannung aller Darsteller. Ist der A-cappella-Liedbeitrag über den traurigen Clown schon ein Highlight, endet das Stück mit einer atemberaubenden Ballade des Zirkusdirektors über den Überlebenskampf des Zirkus, so authentisch interpretiert, dass der Applaus erst noch einen Moment warten musste, so ergreifend war dieses gesamte Stück, war dieser Schluss.
© 2018 Neue Westfälische, 15 - Paderborn (Kreis), Mittwoch 04. Juli 2018